Über uns - Betreuungswerk Berlin Unsere Beratungsstellen Über Betreuungen Vorsorgevollmacht... Vormundschaften Ehrenamtliche Betreuung Informationen in Fremdsprachen Fortbildung Videoempfehlungen Fragen und Antworten zum Betreuungsrecht Gesetzliche Krankenversicherung Schulden, Mahnung, Mahnbescheid Formularservice und Checklisten Projekt "Messiehilfe" Literatur Adressen Aktuelles Partnerlinks intern

Information des Deutschen Vereins

Information des Deutschen Vereins

Schwerpunktthema

Rechtliche Betreuung als Instrument der Selbstbestimmung?

Ein kurzer Überblick über aktuelle Entwicklungen im Betreuungswesen von Anja Mlosch

Seit die UN-Behindertenrechtskonvention 2009 in Deutschland in Kraft getreten ist, entfaltet sie nach und nach ihre Wirkung. In Art. 12 der Konvention ist für Menschen mit Behinderungen "die gleiche Anerkennung vor dem Recht" garantiert. Um diese Garantie mit Leben zu füllen, bedarf es der Sicherstellung der Rechts- und Handlungsfähigkeit und des Zugangs zu der dafür benötigten Unterstützung. Inwieweit das deutsche Betreuungsrecht in seiner aktuellen Form hierzu beiträgt und den Vorgaben gerecht wird, sieht die 1. Staatenprüfung aus dem Jahr 2015 kritisch. Insbesondere alle Formen der gesetzlichen Vertretung, der ersetzenden Entscheidung und des Zwangs, die das BGB im Rahmen rechtlicher Betreuung ermöglicht, stehen im Fokus der Kritik.

Menschen, die auf Grund einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung ihre Angelegenheiten ganz oder teilweise nicht besorgen können, sollen mithilfe rechtlicher Betreuung in die Lage versetzt werden, ihrem Wohl entsprechend ihr Leben nach ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen zu gestalten. Ihre Selbstständigkeit, ihre Kompetenzen und ihr Selbstbestimmungsrecht sollen soweit als möglich erhalten bleiben und gefördert werden.

Eine Reibungsfläche mit dem Selbstbestimmungsrecht des Einzelnen entsteht dabei, da das Gesetz den Betreuerinnen und Betreuern eine umfangreiche Rechtsmacht überträgt, wonach sie betreute Menschen zu ihrem Schutz und Wohl gesetzlich vertreten (§1902 BGB) können. Der damit einhergehende Eingriff in die verfassungsrechtlich geschützten persönlichen Rechte der Betroffenen verlangen einen sehr verantwortungsvollen Umgang mit solchen umfassenden Handlungsbefugnissen und werfen einerseits die Frage auf, ob ersetzende Entscheidungen überhaupt mit dem Recht auf Selbstbestimmung vereinbar sein können, und andererseits, ob das "Wohl" ein geeigneter Maßstab für betreuerisches Handeln ist oder ob dieser Begriff nicht bereits unvereinbar ist mit selbstbestimmtem Leben.

Welche Qualität hat rechtliche Betreuung?
Die Bundesregierung gab in der Folge zwei Forschungsvorhaben zur Praxis im Betreuungswesen in Auftrag. An den begleitenden Expertenbeiräten des Bundesministeriums der Justiz nahm der Deutsche Verein teil. Die Ergebnisse der beiden dabei entstandenen Studien liegen seit etwa einem Jahr vor. Sie beurteilen die Qualität der rechtlichen Betreuung anhand eines dafür entwickelten Qualitätskonzepts, das Kriterien wie Transparenz, Redlichkeit, Zuverlässigkeit und persönliche Unterstützung benennt, und erörtern die Frage der Vermeidbarkeit von Betreuungen durch strikte Umsetzung des betreuungsrechtlichen Erforderlichkeitsgrundsatzes. Auf dem "Fachtag Betreuungsrecht" im November 2017, den der Deutsche Verein in Kooperation mit dem Niedersächsischen Justizministerium veranstaltete, wurden die Forschungsergebnisse von den Wissenschaftlern präsentiert und mit den teilnehmenden Akteuren aus allen Bereichen des Betreuungsrechts sowie mit den Vertretern der Bundes- und Landesjustiz diskutiert. Mit dem Artikel "Zwischen Selbstbestimmung, Schutz und anderen Hilfen Gedanken zu den Ergebnissen der Forschungsvorhaben zum Betreuungsrecht" [PDF, 140 KB] wurde ein Überblick über die Inhalte und Reformansätze, die aus den Forschungsvorhaben resultieren, im Nachrichtendienst (Ausgabe 6/2018 NDV) veröffentlicht. Außerdem stellte die unter dem Dach des Deutschen Vereins angesiedelte Arbeitsgemeinschaft Örtliche Betreuungsbehörden in derselben Ausgabe ausgewählte Ergebnisse der von ihr entwickelten freiwilligen bundeseinheitlichen Betreuungsbehördenstatistik 2015 [PDF, 1,0 MB] und 2016 [PDF, 890 KB] vor, die erstmals einen bundesweiten Überblick über betreuungsrechtlich relevante Zahlen gibt.

Vom Diskussionsprozess zur Reform
Auf der Grundlage der Handlungsempfehlungen der Forscher und mit dem klaren Auftrag, im Koalitionsvertrag das Betreuungsrecht in struktureller Hinsicht zu verbessern, hat das Bundesministerium der Justiz mit einer Auftaktveranstaltung im Juni 2018 einen breit angelegten interdisziplinären Diskussionsprozess Selbstbestimmung und Qualität im Betreuungsrecht begonnen. Bis zum Ende des Jahres 2019 wird im Plenum und in vier Fach-Arbeitsgruppen erörtert, ob und wenn ja welche gesetzgeberischen Veränderungen nötig sind, um ein modernes Betreuungsrecht auf den Weg zu bringen, das dafür sorgt, dass unnötige Eingriffe vermieden werden und umfassende Teilhabe der Betroffenen gewährleistet wird. Neben den Richtern, Betreuern, Behörden und sonstigen Akteuren im Feld rechtlicher Betreuung sind auch betreute Menschen selbst am Prozess beteiligt und haben die Möglichkeit, sich und ihre Sicht einzubringen.

Der Deutsche Verein nimmt an den Plenumssitzungen und an zwei Fach-Arbeitsgruppen mit den folgenden Themen teil:

Zum Thema "Ehrenamt und Vorsorgevollmacht (einschl. Verbesserung der finanziellen Situation der Betreuungsvereine)" hatte sich der Deutsche Verein bereits beim 81. Deutschen Fürsorgetag in Stuttgart im "Forum Betreuungsrecht" mit der Frage nach Möglichkeiten der Förderung des Ehrenamts beschäftigt, indem Methoden in Deutschland und der Schweiz gegenübergestellt wurden. Das weitere Thema "Rechtliche Betreuung" und "andere Hilfen" (Schnittstelle zwischen rechtlicher und sozialer Betreuung) ist außerdem Inhalt der Aktualisierung einer Handreichung des Deutschen Vereins zur Abgrenzung von rechtlicher Betreuung und Sozialleistungen. 

..

Zur Autorin

Anja Mlosch ist als wissenschaftliche Referentin im Arbeitsfeld IV tätig und zuständig für das Thema "Betreuungsrecht".